Genau hinschauen

Rino Scherrer (Präsident)

Antwort zum Leserbrief von Marcel Künzler am 4.04.11 in der Wiler Zeitung „Forum“

Die Erwähnung, dass die Lage in den arabischen Ländern unübersichtlich und von viel Leid geprägt ist, machte mir beim Lesen Hoffnung, Marcel Künzler sei ein Kenner der nordafrikanischen Politik mit ihren Tausenden auf Lampedusa gestrandeten Bootsflüchtlingen. Was ich aber danach zu lesen bekam, war an politischer Ignoranz und Despektierlichkeit gegenüber diesen Menschen nicht zu überbieten.
Dieser Leserbriefschreiber muss aus einer ausländerfeindlichen politischen Ecke kommen, dachte ich mir, aber weit gefehlt: Seine politische Gesinnung nennt er grünliberal! Was für ein SVP-Teufel hat Sie geritten, Herr Künzler, als Sie diesen Brief verfassten? Ich hoffe mit meiner nachfolgenden Stellungnahme, dass Sie wieder zum Pfad des wirklichen gelebten Grünliberalismus zurückkehren werden.

Lampedusa ist für die Flüchtlinge aus Asien und Afrika ein Ort der Hoffnung, einem trostlosen und hoffnungslosen Leben zu entrinnen. Diese Männer aus Somalia, Nigeria, Bangladesch, mit „durchtrainierten Bodies“, wie Sie diese Männer beschreiben, schlugen sich zuerst durch die Wüste nach Libyen oder Tunesien durch. Dort schufteten sie unter erbärmlichen Bedingungen ein paar Monate oder sogar Jahre, um das Geld für die Überfahrt auf einem der Seelenverkäufer zu verdienen. Junge Männer, die Ihre Familien unfreiwillig zurücklassen mussten, um diese lebensgefährliche Reise anzutreten. Wie viele Bootsflüchtlinge zwischen Afrika und Lampedusa ertrinken, verdursten oder an Erschöpfung sterben, weiss niemand. Man weiss von überlebenden Eltern, dass sie ihre toten Kinder über Bord werfen mussten. Viele dieser Unglücklichen werden nie geborgen.

Nach einigen Tagen werden die Menschen meist in andere Lager auf Sizilien und auf dem Festland ausgeflogen. Wer keinen Asylantrag stellt, findet sich oft mit einem Ausreisebefehl allein in Italien wieder. Viele tauchen in Italien ab. Sie suchen sich einen der illegal (und unterbezahlt) angebotenen Jobs in der Landwirtschaft, der Industrie oder als Haushaltshilfe und hoffen auf eine der Amnestien, mit denen die Regierungen in Rom alle paar Jahre Hunderttausende von Menschen «legalisiert».  Italien hat zudem Hilfe von der EU in Form einer Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex gefordert und in diesen Tagen auch erhalten. Viele Menschen mit Ausreisebefehl haben die Absicht, Italien zu verlassen, um ihr Glück in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Spanien und in den nordischen Ländern zu versuchen. Natürlich werden auch junge Männer an unseren Grenzen stehen, aber deswegen jetzt auf Panik zu machen, sie zu verurteilen (haben sicher etwas auf dem Kerbholz) und das Migrationsamt hinzuweisen, dass es «saubere» Arbeit leisten soll, ist menschenverachtend und abscheulich.
Lieber Marcel Künzler, wenn Sie das nächste Mal zu diesem Thema einen Leserbrief schreiben, denken Sie bitte daran, dass alle diese Menschen nicht freiwillig ihre Familien und ihre Heimat verlassen, und dass sie nicht die Schuld haben, in Afrika geboren zu sein. Wir sollten uns realistischere Szenarien ins Auge fassen, als dem Migrationsamt zu empfehlen, saubere Arbeit zu leisten! Ich denke hier an Wirtschaftsaufbauhilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Demokratieunterstützung. Eine gangbare politische Aufgabe, auch nachdem wir die Potentaten aus Asien und Afrika viele Jahre in ihrer Machterhaltung unterstützt haben.

Rino Scherrer, SP
Rosenhofweg 3, 9500 Wil

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