SP-Kandidatinnen fordern gerechte Steuern für alle, Bürgerliche fürchten Standortnachteile und Belastungen für Wirtschaft
Auf Einladung der SP Wil wurde im historischen Wiler Gerichtssaal über eine nicht ganz einfache Frage debattiert: „Was sind gerechte Steuern“. Das Podium war prominent besetzt mit der SP-Nationalrätin Hildegard Fässer, der SP-Kantonsrätin und Stadträtin Barbara Gysi (Wil), FDP-Kantonsrat Walter Locher (St. Gallen) und CVP-Kantonalpräsident Jörg Frei (Eschenbach), die alle für den Nationalrat kandidieren. Der Gerichtssaal war mit rund zwei Dutzend Besucherinnen und Besuchern immerhin halb voll besetzt (oder halb leer, was bekanntlich eine Frage der Perspektive ist).
Engagierte und sachliche Debatte
Unter souveräner Moderation des Journalisten Mario Testa wurden die Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer, die Erbschaftssteuer und die Unternehmensbesteuerung diskutiert. Dr. Felix Sager, der Leiter des Steueramtes des Kantons St. Gallen, hielt jeweils kurze Einführungsreferate. Die Debatte war auch dank diesem gelungenen Auftritt des in Wil wohnhaften Steuerfunktionärs um einiges sachlicher, als man sich dies von TV-Sendungen wie der „Arena“ gewohnt ist. Es wurde aber durchaus engagiert und lebendig diskutiert.
Unfaire Steuerprivilegien abschaffen
Links wie Rechts bestand in einem Punkt Einigkeit: jede Person muss gemäss ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden. Was das aber genau bedeutet, da gingen die Meinungen weit auseinander. FDP-Kandidat Walter Locher forderte, ein Steuersystem müsse gerecht, aber auch pragmatisch sein. CVP-Kantonalpräsident Frei meinte, dass die Steuern Familien und KMU nicht zu stark belasten dürften. Hilde Fässler und Barbara Gysi betonten beide, es sei wichtig, dass sich die Schere zwischen Armen und Reichen nicht noch weiter öffne. Ungerechte Steuerprivilegien wie die Pauschalbesteuerung reicher Ausländer gehörten abgeschafft. Es sei unfair, wenn die Normalverdiener jeden Rappen versteuern müssten, während einige wenige reiche Ausländer pauschal nach dem Aufwand besteuert würden. Die beiden bürgerlichen Vertreter hielten dagegen, die Pauschalbesteuerung sei pragmatisch und ein Standortvorteil.
Auch Bürgerliche finden Erbschaftssteuer gerecht
Die Initiative für die Einführung einer Erbschaftssteuer wurde ebenfalls lebhaft diskutiert. Die beiden SP-Frauen kritisierten, die Kantone hätten die „wohl gerechteste“ Steuer in den letzten Jahren im Steuerwettbewerb ohne Not reihenweise abgeschafft. Es sei viel sozialer, Vermögen statt Arbeit zu besteuern. Deshalb sei es sinnvoll, diese Steuern jetzt auf Bundesebene einzuführen, wobei die Erträge zu 2/3 an die AHV und zu 1/3 an den Bund gehen sollen. Walter Locher sprach sich dagegen aus. Er sei gegen neue Steuern und diese hier werde zu grossen Problemen bei Unternehmensnachfolgen führen. Jörg Frei meinte, er halte die Erbschaftssteuer zwar grundsätzlich für gerecht, schloss sich aber trotzdem der Ansicht von Walter Locher an. Die vorliegende Initiative habe zu grosse Mängel.
Kandidierende sind „arena-tauglich“
Das Publikum war interessiert und stellte einige kritische Fragen an die Podiumsteilnehmer. Beim anschliessenden geselligen Apéro bot sich die Gelegenheit, die ewige Frage nach der Gerechtigkeit zu diskutieren. Auch einfachere Themen wurden bis spät in die Nacht angeregt besprochen. Es zeigte sich, dass der leider viel zu selten benutzte Gerichtssaal für solche politisch-informativen Anlässe geradezu prädestiniert ist. Wer weiss, vielleicht war dies die Geburtsstunde einer Wiler Polit-Arena? Die Kandidierenden haben jedenfalls ihre „Arena-Tauglichkeit“ an diesem Abend alle eindrücklich unter Beweis gestellt.