Am Dienstag hat die SP Wil ihren neuen Präsidenten gewählt: Rino Scherrer. Sein Beitritt zur SP kam spät.
Geboren wurden Rino Scherrer in Alexandria, Ägypten. Aufgewachsen ist er in Gent, Belgien. Erst mit 13 Jahren kam er in die Schweiz – ohne ein Wort Deutsch zu können. Seit Dienstag ist er der Präsident der SP Wil.
25.04.2015 Wiler Nachrichten, Timo Züst
Eigentlich hätte das Treffen im «Signal», dem Stammlokal der SP Wil, am Montag stattfinden sollen. Aber Rino Scherrer muss absagen: Die Arbeit ruft. Der 67-Jährige muss nach Zürich. Er leitet bei der Generalunternehmung Steiner AG ein Team von Spezialisten, das die effektiven Kosten für Grossprojekte ermittelt. Beispielsweise das neue Kantonsspital in Frauenfeld hat Rino Scherrer gerechnet. Seit zwölf Jahren ist der ehemalige Architekt dort und seine grosse Erfahrung macht ihn begehrt: «Ich wollte im April eine Auszeit nehmen – schliesslich bin ich bereits im Pensionsalter. Das hat aber nicht geklappt. Deshalb muss ich am Montag arbeiten.» Für einen Kaffee im «Signal» fand Rino Scherrer dann aber doch noch Zeit, ganz spontan, am Freitagnachmittag. Das war vor bald einer Woche. Mittlerweile hat Rino Scherrer noch eine Aufgabe übernommen: Er wurde am Dienstag zum Nachfolger von Kilian Meyer als Präsident der SP Wil gewählt.
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Von Ägypten nach Belgien
Rino Scherrer sprach bis zu seinem 13. Lebensjahr kein Wort Deutsch. Verantwortlich dafür war die Abenteuerlust seines Vaters. Bereits im im Alter von 27 Jahren zog der gelernte Weberei-Techniker Joseph Scherrer aus Mosnang nach Alexandria in Ägypten. Seine Fertigkeiten waren gesucht im Ägypten der 40er Jahre. Dort lernte Joseph Scherrer Rinos Mutter Ada kennen. Die Italienerin lebte ebenfalls in Alexandria. Die zwei verliebten sich, heirateten und gründeten eine Familie. Rino war das dritte Kind des Paars, er kam 1948 in Alexandria zur Welt. Doch schon bald musste die junge Familie umziehen: Als Muhammad Nagib und Gamal Abdel Nasser 1952 durch einen Militärputsch an die Macht kamen, wurde es in Ägypten ungemütlich für Ausländer. Joseph Scherrer entschied sich für die Flucht und brachte die Familie in die belgische Studentenstadt Gent. Er hatte dort Arbeit gefunden. «Ich wuchs in Gent auf. Mit meinen vier Geschwistern sprach ich Französisch, mit den Eltern Italienisch. Nur Arabisch konnten wir Kinder nicht. Wenn die Eltern etwas geheim halten wollten, sprachen sie arabisch.» 1961, als Rino Scherrer 13 Jahre alt war, zog die Familie schliesslich in die Schweiz. Den Vater zog es in die Heimat. Rino und seine Geschwister wohnten allerdings nicht von Beginn an im Elternhaus in Mosnang. Der Vater verteilte die Kinder bei Verwandten – so konnten sie weder mit der Mutter Italienisch noch mit den Geschwistern Französisch sprechen und waren gezwungen Deutsch zu lernen. «Das war schon sehr hart. Speziell für meine Mutter. Aber auch sehr effektiv», erzählt Rino Scherrer.
Politisch schon immer links
Demonstrationen haben ihn schon immer angezogen. Er erinnert sich gut an Gent, als er die Studenten beobachtete, wie sie auf die Strasse gingen: «Die Energie und die Motivation der Studenten faszinierte mich.» Während einer beruflichen Tätigkeiten als Architekt, mal selbstständig, mal angestellt, und später als technischer Manager bei der Steiner AG konnte er sich sein politisches Interesse erhalten und wurde auch immer mal wieder aktiv: «Einmal ging ich mit meinem Sohn zu einer Demonstration für den Beitritt in den europäischen Wirtschaftsraum. Auf unserem Banner stand: ‘Mosnang grüsst Europa’. » Natürlich hätten nach der Übertragung im Fernsehen sofort alle im Dorf gewusst, wer das gewesen ist. Seit 2005 lebt Rino Scherrer in Wil und ist seit 2007 Mitglied der SP Wil. Ein später Beitritt, der nur durch einen Zufall zu Stande kam: Rino Scherrer besuchte aus Interesse seinen Schwiegersohn bei einem Fotoshooting am Wiler Bahnhof. Der Fotograf lichtete die SPKandidaten für die Parlamentswahlen ab. Dort kam Scherrer ins Gespräch mit der jetzigen SPStadtparlamentarierin Marianne Mettler: «Es endete damit, dass ich mich auch fotografieren und für die Liste aufstellen liess.» Natürlich musste Rino Scherrer dann auch der Partei beitreten. Im selben Jahr wurde er in den Vorstand gewählt und ist seither sehr aktiv – speziell die Aktionen auf der Strasse haben es ihm angetan. Für Rino Scherrer kam der Eintritt in die SP nicht zu spät, denn für ihn war es eigentlich kein Neustart, sondern eine Heimkehr.